Letzens durfte ich den Satz, bezogen auf mich, in einem Opensim-Forum lesen. Ich habe mal kurz innegehalten und versucht nachzuzählen, wie oft ich den Satz schon gehört habe. Mach das doch auch einmal und ich denke, du hast wie ich den Überblick bereits verloren. Aber das Thema hat mich jetzt gepackt.
Warum ist die Frage nach dem/der Schuldigen eigentlich wichtig?
Weil es in der Natur unseres Denkapparates liegt. Unser Gehirn will lernen und daher muss es Vorgänge analysieren. Es sucht ganz neutral nach der Ursache einer gegenwärtigen Situation, sieht sich die Folgen an und zieht Schlüsse, die helfen sollen, derartiges zukünftig zu vermeiden bzw. zukünftiges Handeln zu optimieren. Der Satz *Du bist schuld* heißt also eigentlich *Du bist die Ursache*. Nun wäre es ja schlimm, wenn allein die Existenz einer Person schon Unglück bringen würde, also muss es eher heißen *Deine Handlungen waren die Ursache*. Na ja, alle unsere Handlungen haben irgendeine Wirkung, sonst würden wir ja nicht handeln, wir haben ja immer ein Ziel bei dem, was wir tun. Natürlich machen wir Fehler, alles ganz normal. Aber, warum beschleicht mich nach einem solchen Satz ein unangenehmes Gefühl?
Schuldgefühle!
Der obige Satz ist ja nicht gerade ein Kompliment oder die neutrale Bewertung einer Handlung, sondern ein negatives Urteil. Man hat also etwas falsch gemacht. Das mögen wir Menschen nicht. Wir sind soziale Wesen. Unbewusst haben wir alle, vielleicht bedingt aus Urzeiten, als wir noch aus Lebenserhaltungsgründen auf unsere Gruppe angewiesen waren, die Angst, ausgestoßen zu werden. Man sitzt in einer Höhle und ein 3m großer Bär kommt rein: Ich allein = null Überlebenschancen versus ich mit 10 anderen = weitaus bessere Chancen. Wir wollen also den anderen gefallen und Menschen, die *schuld* sind, gefallen nicht. Sich schuldig zu fühlen ist eine soziale Emotion, die mit der unbewussten Angst einhergeht ausgestoßen zu werden und Angst ist ein mächtiges Gefühl.
Dazu kommt noch das Gefühl der Scham, da einem die eigene Unzulänglichkeit oder Schlechtigkeit vor Augen geführt wird. Tröstlich ist, dass nur die Menschen sich schämen können, die die sozialen Normen verinnerlicht haben, also die anständigen Menschen. Liest man diesen Satz über sich sogar in einem Forum, erlebt man eine öffentliche Bloßstellung. Das ist brutal und macht man übrigens als anständiger Mensch auch nicht. Das ist psychische Gewalt. Der/die Beschuldigte ist sofort tief getroffen, schämt sich umso mehr, möchte sich am liebsten verkriechen. Das gilt natürlich nur dann, wenn man weiß, der/die andere hat recht.
Ist dieser Satz ungerechtfertigt, dann kommt zu dem Gefühlscocktail noch Bestürzung hinzu, die auch in Wut übergehen kann. Man möchte das sofort richtigstellen, also Schadensbegrenzung betreiben, für den eigenen Seelenfrieden und für seine Stellung in der Gruppe. Die Chancen stehen aber leider schlecht. Ein Mensch, der so etwas öffentlich schreibt, ist wahrscheinlich nicht bereit, das alles bei einer guten Tasse Tee zu besprechen. Was auch immer das Ziel war, es wurde erreicht.
Du bist schuld!
Man kann diesen Satz auch sagen/schreiben, weil man an der Klärung einer Situation ein berechtigtes Interesse hat. Dann begründet man und tritt in Kommunikation mit der Person. Ich halte den Satz allerdings für ein schlechtes Intro für ein konstruktives Gespräch.
Wir alle wissen, dass der Satz *Du bist schuld* dem/der anderen üble Gefühle bereitet. Damit kann ich also andere unter Druck setzen. Warum will man das?
Man möchte jemanden zu einem besseren Menschen machen, wobei, das Ziel schließe ich bei
einer öffentlichen Bloßstellung einfach mal aus.
Man möchte jemanden diskreditieren, klein machen, der einem evtl. gefährlich werden
könnte oder der einem schon länger ein Dorn im Auge ist.
Man möchte vom eigenem Anteil an der Situation ablenken.
Man ist unfähig sich selbst zu reflektieren, schuldig sind grundsätzlich die anderen.
Man will Macht ausüben…..
Was sagt mir das alles?
Zuerst einmal, dass das Thema hochinteressant ist. So interessant, dass sich Philosophen, Theologen, Juristen, Psychologen usw. damit auseinandergesetzt haben. Und es ist ein Thema, was uns unser Leben lang ganz persönlich begleitet.
Ich ziehe für mich folgende Schlüsse:
Man sollte diesen Satz erst einmal als Information sehen und darüber nachdenken, ob man vielleicht wirklich etwas getan hat, was nicht in Ordnung ist. Ist man wirklich schuld, ist der Satz eine Handlungsaufforderung.
Man sollte sich auch Gedanken über mögliche Motive des *Richters* machen. Stellt man fest, hier geht es um etwas anderes als eine Ursachenbeurteilung, dann ist das das Thema, worüber man sich Gedanken machen sollte.
Auch die Frage, warum einen dieser Satz so berührt, ist wichtig. Das hat viel mit der eigenen Geschichte zu tun. Sich damit zu beschäftigen, bringt einen weiter.
Was ein anderer tut oder schreibt, haben wir nicht im Griff. Was wir daraus machen, aber
schon.